Nachlese 2019

QUEER gelesen 2019 fand 2019 zum ersten Mal nach der CSD-Saison im September in der Bar jeder Sicht in Mainz statt. Am Samstag zeigte sich anhand der Besucherzahlen, dass es eine gute Entscheidung war, das Lesefestival in den September zu legen, denn vielen Besucher*innen war der Termin noch präsent. Wie in jedem Jahr gab es einige kurzfristige Programmänderungen, denn am Freitag musste Serena C. Evans krankheitsbedingt absagen, am Sonntag teilte Sam Balducci ebenfalls seine Lesung aufgrund seiner Arbeit ab. Für beide Lesungen konnte jedoch eine Lösung gefunden werden, so dass keine Veranstaltung abgesagt werden musste.

Eröffnungslesung mit Valerie Schnitzer
Diskussionen mit Valerie Schnitzer

Freitag – von dem heilenden Weg zu sich selbst
Die Eröffnungslesung am 06.09.2019 bestritt Valerie Schnitzer, die aus ihrem autobiografischen Roman „Geheilte Seele – Befreites Ich” las und im Anschluss für Fragen zur Verfügung stand. Vor mehr als 30 Besucher*innen erzählte die Autorin von ihrem bewegten Leben, ihrem Weg von Mann zur Frau und wie lange es dauerte, diesen Schritt zu tun. Ihr zur Seite stand und steht ihre Ehefrau Monika, die ebenfalls vor Ort war und einige Fragen aus ihrer Sicht beantwortete. Über zwei Stunden dauerte die Lesung, auch danach ergaben sich eindringliche Gespräche und Diskussionen.

Ein sehr schöner, nachdenklich stimmender Auftakt von QUEER gelesen 2019.

Samstag – zarte Freundschaften, lesbische Wortspielereien und gesangliche Zwischenspiele
Wie im Vorjahr starteten die ersten Lesungen bereits um 16 Uhr – Jobst Mahrenholz stellte sein neues Projekt „Tullio“ vor, das noch nicht erschienen ist und mit dem sich der Autor demnächst auf Verlagssuche begeben will. Wie vom Autor gewohnt erwartete den/die Zuhörer*in ein sehr ruhiges, eindringliches Buch, das im trans-Genre angesiedelt ist.

Jobst Mahrenholz liest aus “Tullio”

Im Anschluss entführte Anne Bax mit ihren humorvollen, ironischen Erzählungen, Gedichten und Texten in den lesbischen Alltag. Vor fast 40 Besucher*innen stellte sie ihre Geschichtensammlung „Lesbe ist nur ein Wort“ vor und konnte sämtliche Zuhörer mit ihrer lockeren, humorvollen Art begeistern. Eine tolle Lesung, die für viele Lacher sorgte.

Den folgenden Leseslot übernahm kurzfristig die Düsseldorfer Autorin Luisa Strunk, die für die krankheitsbedingt ausgefallene Autorin Serena C. Evans eingesprungen ist. Statt Fantasy gab es einen sehr schönen, intensiven Coming-Out Roman über die Außenseiterin Marie, die zumeist für sich allein ist und wenig Freunde hat – bis sie ihre Mitschülerin Gwen eines Tages auf dem Spielplatz trifft. „Unser Platz in dieser Welt“ ist ein schöner Coming-of-Age, den die junge Autorin sehr überzeugend vorstellte.

Nach einer längeren Pause läutete der Autor, Sänger und Schauspieler Karsten Oliver Woellm das gruselige und „geistreiche“ Abendprogramm ein. Nach einer kurzen musikalischen Darbietung, die den Einstieg in sein Debüt „Auch bei Schwulen spukt’s“ entführte der Autor die Besucher*innen ins Schwäbische und präsentiert mit Samuel einen schwulen Helden, der von einem seltsamen Phantom verfolgt wird – der perfekte Einstieg ins etwas unheimliche Abendprogramm.

Full House bei Anne Bax

Der letzte Programmpunkt am Samstagabend wurde von mehreren Autor*innen bestritten, denn ab 20 Uhr stand das Lesefestival ganz im Zeichen der Benefizanthologie „Like a (bad) Dream“, deren Einnahmen der queeren Flüchtlingshilfe des Darmstädter Vereins vielbunt zugutekommen. Aus diesem Grund war auch Stefan Kräh zu Beginn zu Gast, um Verein und Flüchtlingshilfe vorzustellen. Im Anschluss lasen Elisa Schwarz („Die Süße des Kusses“), Jobst Mahrenholz („Copacobana Palace“), Tanja Meurer („Bestie“) und Juliane Seidel („Zwillingsturm“) aus ihren Kurzgeschichten und gaben einen kurzen, eindringlichen Einblick in die Anthologie.

Sophie Herrndorf eröffnete den Sonntag

Sonntag – vom Erwachsenwerden, unmöglicher Liebe und der Suche nach dem eigenen Weg
Nach dem obligatorischen Autoren- und Leserbrunch in der Bar jeder Sicht, startete um 13:30 Uhr der Festivalsonntag. Sophie Herrndorf las aus ihrem Debüt „Frag nicht nach gestern“ und entführte die Zuhörer*innen nach Finnland in ein Resozialisierungsprpojekt, in dem die junge Leonie ihre verbliebene Gefängnisstrafe absitzen muss – gemeinsam mit einer Hand voll Mädchen und Frauen wie sie. Die Autorin stellte ihr Debüt sehr eindrucksvoll und stimmig vor und machte Lust auf mehr.

Im Anschluss kamen die Besucher*innen wieder in den Genuss eines Debüts – Johanna Kramer las zum ersten Mal aus ihrem Roman „Wir können alles sein“, in dem Carolina und Brida nicht nur um ihre Liebe füreinander kämpfen müssen, sondern sich auch gegen die Widrigkeiten ihres Umfeldes zur Wehr setzen müssen – ein sehr intensives und beeindruckendes Debüt.

Um 15 Uhr betrat Lina Kaiser die Bühne, die bereits vor einigen Jahren bei QUEER gelesen zu Gast war – damals las sie noch in Wiesbaden aus ihrem Debüt „Im Abseits der Lichter“. In „Indy“ stellt die Autorin eine wesentlich erwachsenere Frau vor, die zusammen mit einer alten Freundin auf die Suche nach Noemi geht, einer gemeinsamen Kindheitsfreundin, die verschwunden ist. Auf sehr humorvolle und fesselnde Art nahm die Autorin ihre Zuhörer mit auf den ungewöhnlichen Roadtrip quer durch Europa.

Nach einer längeren Pause eröffnete Julia E. Dietz die schwulen Leseslots des Sonntags. Sie stellte ihr Debüt „Glitzernde Nächte“ vor, in dem sich der junge Timo mit seiner Sexualität, dem dörflichen Leben und seinem engstirnigen Vater auseinandersetzen muss und sich zeitgleich in seinen neuen Mitschüler Sebastian verguckt. Die Autorin brachte die Geschichte um ihren jungen Helden sehr einfühlsam herüber.

Gespannte Zuhörer bei Lina Franken

Im Anschluss entführte Sven Krüdenscheidt die Zuhörer*innen in ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte – sein Roman „Ich, du und für immer wir“ spielt im beginnenden 2. Weltkrieg und offenbart im Tagebuchstil die Geschichte von Ferdinand, der sich während seiner Zeit bei der Wehrmacht in Georg verliebt. Für beide beginnt ein gefährliches Spiel, denn in dieser Zeit bedeutet Homosexualität häufig Gefängnis oder Tod. Nach der Lesung stand der Autor noch für Fragen zur Verfügung – davon gab es einige.

Tanja Meurer liest aus “Bestie”, erschienen in “Like a (bad) Dream”

Die letzte Lesung von QUEER gelesen 2019 bestritt kurzfristig die Veranstalterin Juliane Seidel, die für Sam Balducci einsprang, der leider arbeitsbedingt ausschied und nicht selbst aus seinem Roman „Sieben von hundert“ lesen konnte. In dem Roman steht Luca Montevecchi im Mittelpunkt, der im Krankenhaus liegt und sich an sein Leben erinnert. Es war sehr schade, dass der Autor nicht selbst vor Ort sein konnte.

Fazit:
Auch im September 2019 bot QUEER gelesen einen tollen Einblick in die vielfältige Welt queerer Bücher und präsentierte in der Bar jeder Sicht tolle, deutschsprachige Autor*innen. Während der Freitag und Samstag wie gewohnt stark besucht war (gerade die ersten Samstagslesungen konnten bis zu 40 Besucher*innen in die Bar locken), war es am Sonntag ruhiger. Nichtsdestotrotz sind die Veranstalter mit den Besucherzahlen zufrieden. Wir bedanken uns bei allen teilnehmenden Autor*innen, unseren Sponsoren (allen voran dem Novotel Wiesbaden, dem Main Verlag, der erneut mit einem eigenen Stand vor Ort war und dem Ulrike Helmer Verlag), der Büchergilde Mainz (für die Unterstützung mit einem Büchertisch), dem Team der Bar jeder Sicht und allen Besuchern und Besucherinnen, die auch dieses Mal dabei waren.

Wir freuen uns, dass auch dieses Jahr die Lesungen und das Programm gefallen haben und sind gespannt auf das nächste queere Lesefestival – wann es soweit ist, steht aktuell noch nicht fest. Wenn es soweit ist, wird es hier bekanntgegeben.

Die lesenden Autoren

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